Ehrenpreis 2006 für Prof. Dr. Sternel

Prof. Dr. Sternel
Prof. Dr. Sternel

Der Deutsche Mietgerichtstag e.V. hat 2006 den Schmidt-Futterer Preis an den Nestor des Deutschen Mietrechts Herrn Prof. Dr. Friedemann Sternel (70) für sein Lebenswerk verliehen. Prof. Dr. Sternel hat sowohl durch seine wissenschaftlichen Arbeiten wie durch seine richterliche Tätigkeit als Vorsitzender Richter am LG Hamburg in einzigartiger Weise das deutsche Mietrecht der letzten 30 Jahre geprägt. Durch die Kombination von einer ausgeprägten pädagogischen Begabung und einem enormen Arbeitseinsatz hat er seit Jahrzehnten die Ausbildung im Mietrecht maßgeblich bestimmt.

 

Sein Werk "Mietrecht" ist in der 3. Aufl. zum Standardwerk bei Gerichten und der Wohnungswirtschaft geworden. Es ist ihm gelungen, durch eine klare Systematik und Sprache die Probleme transparent zu machen und in ihren wirtschaftlichen und sozialen Kontext zu stellen. Prof. Dr. Sternel war von 1980 bis zu seiner Pensionierung Vorsitzender einer weit über Hamburg hinaus bekannten Mietberufungskammer. Außerdem hat er eine Lehrtätigkeit, zunächst an der Universität Hamburg und seit 1996 an der Universität Leipzig, ausgeübt. Als Referent an der Deutschen Richterakademie, in Anwaltsseminaren und bei Verbänden der Wohnungswirtschaft hat er die rechtlichen und sozialen Bezüge des Mietrechts vermittelt.

 

Laudatio von Prof. Dr. Peter Derleder, Bremen, anläßlich der Verleihung des Schmidt-Futterer-Preises am 31.3.2006 an Prof. Dr. F. Sternel.

Nachstehender Beitrag des VorsRiLG Dr. Hans Langenberg ist mit freundlicher Genehmigung des Verlages C.H. Beck der NZM (Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht) 2000, 1082 entnommen.

 

Professor Dr. Friedemann Sternel

Vorab sind einige persönliche Daten anzubringen. Am 10.11.1935 wird Sternel in Prenzlau/Uckermark als drittes Kind geboren; sein Vater ist promovierter Diplom-Handelslehrer, seine Mutter stammt aus einem Pastorenhaushalt. Nach der Einschulung im Sommer 1942 wird er im Januar 1945 nach Finsterbergen in Thüringen evakuiert. Im November 1946 zieht er nach Lübeck, ab Dezember 1946, einige Zeit nach Thomas Mann, besucht er das über 400 Jahre alte, sehr leistungsorientierte Katharineum zu Lübeck, ein Gymnasium in einem gotischen Kloster. 1955 folgen die Reifeprüfung und der Beginn des juristischen Studiums in Hamburg und Frankfurt a.M., 1959 die erste juristische Staatsprüfung, der sich die damals übliche dreieinhalbjährige Referendarzeit anschließt. Er heiratet 1963, seine Ehefrau ist Kirchenmusikerin und Kantorin – aus der Ehe stammen drei Kinder, die sämtlich nicht Juristen werden – und promoviert 1964 an der Universität Hamburg. 1964 legt er das zweite Staatsexamen ab und beginnt etwa zwei Monate später seine Tätigkeit als Richter, zunächst beim Amtsgericht, wo er zum Amtsgerichtsrat ernannt wird, ab 1. 1. 1972 beim Landgericht Hamburg in einer Mietkammer. Zum 1. 1. 1978 wird er zum Hanseatischen Oberlandesgericht abgeordnet, am 3. 5. 1979 zum Richter am OLG ernannt und nach seinem Wechsel wieder zum Landgericht übernimmt er am 1. 2. 1980 den Vorsitz einer Mietkammer, der aus vielen Veröffentlichungen bekannten Zivilkammer 16 (316), den er bis November 2000 innehat.

 

II. Diese Daten mögen dürr erscheinen, zeigen aber bei genauerer Betrachtung den Ursprung von drei besonders auffälligen Eigenschaften, die Sternels Werdegang als Richter und Mietrechtler prägen.

 

1. Als erste dieser Eigenschaften ist das ausgeprägte Interesse an sozialen Bezügen zu nennen. Schon das Thema seiner Dissertation „Der Schutz Minderjähriger nach Art. 104 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes bei freiheitsentziehenden Anstaltsunterbringungen durch den Personensorgeberechtigten“ macht dies deutlich. Sie erstreckt sich auf das Grenzgebiet von Verfassungsrecht, Öffentlichem Recht und Privatrecht im Hinblick auf das Wohl des Kindes in einer Gemengelage unterschiedlicher Interessen. Sie belegt die Neigung, sich intensiv mit der sozialen Verantwortung des Stärkeren einerseits und dem Schutz des Schwächeren andererseits zu beschäftigen, was sich wie ein roter Faden durch sein ganzes späteres Wirken ziehen wird. Dem Interesse an sozialen Bezügen entspricht, dass Sternel seit 1969 einer der Vorsitzenden der Öffentlichen Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle Hamburg ist. Gelegentlich ist ihm vorgeworfen worden, er entscheide sich, gleich ob als Richter, Autor oder Referent, vornehmlich für den Mieter. Derartige Vorwürfe beruhen auf einer lediglich interessengesteuerten Wahrnehmung und mangelnder Differenzierung. Für Sternel ist die Wohnung nicht nur, sondern auch ein Wirtschaftsgut, ebenso aber ein Sozialgut. Wenn es z.B. um Gebrauchsrechte des Mieters geht, steht daher das Sozialgut im Vordergrund, dass die Wohnung der räumlich-gegenständliche Lebensmittelpunkt des Menschen ist, die ein Grundbedürfnis befriedigen und in der er die Möglichkeit haben muss, sich so weit selbstbestimmt zu verwirklichen, wie es nicht auf Kosten Dritter geht. Dieselben Gesichtspunkte gelten insbesondere für Fälle des drohenden Verlusts der Wohnung. Ist das Wirtschaftsgut Wohnung angesprochen, bringt er hingegen stets die wirtschaftlichen Interessen des Vermieters zur Geltung, wie z.B. bei der Mieterhöhung oder im Rahmen des § 5 WiStrG. Bei ihm steht der Partnerschaftsgedanke im Vordergrund, der die Waffengleichheit der Vertragsparteien bei Interessenkonflikten bedingt und durch die Gesetzgebung und -auslegung zu einem möglichst ausgewogenen Interessenausgleich führen soll.

 

2. Die zweite Eigenschaft ist die pädagogische Begabung und Neigung. In den Jahren 1969 bis 1971 lässt er sich zur Hälfte vom richterlichen Dienst freistellen und übernimmt eine Lehrtätigkeit an der Universität Hamburg mit begleitenden und vertiefenden Kursen zu den Hauptvorlesungen des BGB und Klausurenkursen, 1983/1984 einen weiteren Lehrauftrag. Im Mai 1996 folgt ein Lehrauftrag an der Wirtschaftswissenschaftlichen, im April 1999 an der Juristenfakultät der Universität Leipzig ab dem Wintersemester 1999/2000, die Berufung zum Honorarprofessor im November 1999. Seit Mai 1979 ist er Dozent der Deutschen Anwaltakademie, seit den achtziger Jahren kommt eine umfangreiche Referententätigkeit für Verbände der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft hinzu. Von Anfang an (1982) an ist er Referent bei der jährlichen Fachveranstaltung „Partner im Gespräch“ des Evangelischen Siedlungswerks in Deutschland e.V., wobei er in seinen Beiträgen das gesamte Spektrum mietrechtlicher Probleme behandelt. Nach der Wiedervereinigung engagiert er sich in außerordentlicher Weise bei den Wohnungsverbänden in den neuen Ländern, wobei ein zusätzlicher Antrieb auch in der in Ostdeutschland verbrachten Kindheit zu vermuten ist.

 

3. Schließlich ist als dritte Eigenschaft das tiefe Arbeitsethos, d.h. Fleiß und Pflichtbewusstsein, anzuführen. Mit enormer Selbstdisziplin und Gewissenhaftigkeit sowie einer Arbeitskraft, die neidvoll machen könnte, gelingt es ihm, sowohl der umfangreichen Referenten- wie auch Autorentätigkeit gerecht zu werden, ohne sein Richteramt zu vernachlässigen. Vielmehr versieht er auch dies mit Akribie und arbeitet notfalls nachts die anstehenden Sachen für die nächste Kammersitzung so gründlich vor, dass ihm der komplette Akteninhalt bei der Beratung vor der Sitzung ebenso gut präsent ist wie der Berichterstatterin oder dem Berichterstatter.

 

III. Die Kombination von ausgeprägter pädagogischer Begabung und enormem Arbeitseinsatz zeitigt eine herausragende Leistung. Als er am 1. 1. 1972 Beisitzer in einer Mietkammer wird, gibt es kaum noch aktuelle mietrechtliche Literatur. Das 1. WohnraumkündigungsschutzG (WKSchG) ist gerade am 28. 11. 1971 in Kraft getreten, die Situation verschärft sich durch das 2. WKSchG vom 18. 12. 1974 mit Wirkung zum 1. 1. 1975. Schon mit Vorwort vom Februar 1975 erscheint sein „Wohnraummietrecht“, ab 2. Auflage unter dem Titel „Mietrecht“. Er füllt damit nicht nur eine Lücke aus. Vielmehr gelingt es ihm, die jeweils behandelten Probleme durch eine klare Systematik und Sprache transparent zu machen und in ihren wirtschaftlichen und sozialen Kontext zu stellen. Dabei bearbeitet er das Mietrecht nicht als isoliertes Rechtsgebiet, sondern hebt seine Einbindung in das allgemeine Zivilrecht hervor, wodurch Zusammenhänge deutlich werden; so widmet er sich schon in den frühen achtziger Jahren wie kaum ein Anderer ausführlich den Auswirkungen des AGB-Gesetzes auf das Mietrecht, lange bevor sich Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre ein allgemeines Problembewusstsein einstellt. Bei ihm geht zudem die Systematik nicht in der Fülle praktischer Erfahrung unter, sondern wird im Gegenteil durch sie erschlossen. Die dadurch erreichte Verständlichkeit hat zum außerordentlichen Erfolg seines „Mietrecht“ und „Mietrecht aktuell“ beigetragen und dazu geführt, dass er von Jüngeren als Ur-Vater des Mietrechts bezeichnet wird.

 

Sein Interesse an systematischer Aufarbeitung ist zudem daran zu erkennen, dass er bei Änderungen des Mietrechts stets zu den Ersten gehört, die den Neuerungen und ihren Folgen eine ausführliche Darstellung widmen, so schon 1972 „Zur Mieterhöhung nach neuem Recht“ (WuM 1972, 185; WuM 1973, 1), 1983 zum selben Thema (ZMR 1983, 73) oder 1991 zu „Mietrechtsangleichung nach dem Einigungsvertrag in den neuen Bundesländern (MDR 1991, 289), „Die mietpreisrechtlichen Vorschriften des Mietenüberleitungsgesetzes (MÜG)“ (ZMR 1995, 437), „Zur Aufstellung von Mietspiegeln in den neuen Bundesländern“ (WuM 1999, 371).IV. Zum Abschluss dieser Betrachtung ist Sternel - und seinen Zuhörern und Lesern - als Fernziel zu wünschen, dass ihm die hier herausgestellten Eigenschaften noch lange erhalten bleiben, und als Nahziel, dass ihm der zeitliche Freiraum durch das Ausscheiden aus dem aktiven Richterdienst ermöglicht, alsbald die mietrechtliche Diskussion um eine vierte Auflage seines Standardwerks zu bereichern.